Friedrich
Wilhelm Foerster
Allgemeine
Gesichtspunkte. In: ders.: Jugendlehre.
Ein Buch für Eltern, Lehrer und
Geistliche. Berlin: Reimer 1906 (2. Auflage)
Analyse des
Textes anlässlich des Moduls "Kinder, Jugendliche und Pädagogik";
Virtuelle Campus Pädagogik / Universitäre und Kantonale Lehrerinnen-
und Lehrerbildung Bern, SS 2004
Biographie
Als Sohn
eines anerkannten Naturwissenschaftlers, wuchs Friedrich Wilhelm
Foerster (1869 – 1966) auf in dem progressiv-protestantischen Milieu
der Berliner Intelligentia. Selber studierte der junge Foerster, wie er
noch lange genannt wurde, Philosophie, Nationalökonomie und Physiologie
in Freiburg im Breisgau und Berlin. Er promovierte 1893 mit einer
Doktorarbeit über die Ethik Kants und habilitierte sich 1898 in Zürich
mit der Schrift " Willensfreiheit und sittliche Verantwortlichkeit.
Eine sozialpsychologische Untersuchung ". Von 1898 bis 1912 war er
Privatdozent für Philosophie und Moralpädagogik an der Universität
Zürich und an der ETH. Nach einem Jahr an der Universität Wien war er
dann 1914 - 1920 Professor für Pädagogik und Philosophie in München.
Wegen seines Engagements für den Pazifismus und gegen den Nationalismus
geriet er in Deutschland dermassen oft in Probleme, dass er dem Land
1920 definitiv den Rücken kehrte. Als freischaffender Schriftsteller
lebte er seit 1920 in der Schweiz, in Frankreich (1926 - 1940) und in
den USA (1940 - 1963). Er starb 1966 in Kilchberg, im Kanton Zürich.
(alles: Enders 2003; Webseite
Pascal Max Stand 20. April 2004)
vlnr: Karl (1874-1970, Botaniker), Wilhelm Julius (1832-1921, Astronom) und Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966, Pädagoge)
Kontext
Noch während seines Studiums
gründete Foerster zusammen mit seinem Vater und dem Philosophen Georg
von Gizycki 1892 die freidenkerische „Deutsche Gesellschaft für
Ethische Kultur “ (DGEK). Hauptziel dieser eher kleinen, aber sehr
öffentlichkeitswirksamen Gesellschaft war es, eine von religiösen
Vorstellungen lösgelöste Morallehre zu entwickeln, die den
Religionsunterricht in dem von der Kirche befreiten
Volksschulunterricht zu ersetzen imstande wäre (Visser 1998). (1) 1895 dotierte diese DGEK nicht weniger
als 5000 Mark für
"[] die Abfassung eines
volkstümlichen Handbuches der humanen Ethik auf wissenschaftlicher
Grundlage, welches Lehrer und Eltern anleitet, einen von trennenden
Voraussetzungen religiöser oder metaphysischer (einschließlich
materialistischer) Art freien Unterricht zu geben. " (ebd.).
Das Buch „Jugendlehre“ (1904) war
Foersters wohl verspätete Reaktion auf genau diesen Wettbewerb. Während
der Verfassung derselben vollzog Foerster aber einen radikalen
Kehrtwendung: er distanzierte ab 1900 auch öffentlich von ‚seiner' DGEK
und vertrat bis zu seinem Tode weiterhin, zwar nicht konfessionell
gebundene, aber dezidiert christlichen Positionen. Oft sehr nahe beim,
aber auch sehr kritisch gegenüber dem Katholizismus argumentierend,
trat er erst kurz vor seinem Tode im Zürcher Sanatorium in die
‚Mutterkirche' ein.
Jugendlehre
Trotz und Dank diese eher
unbestimmten religiös-weltanschaulichen Position war Foersters
‚Jugendlehre' einen Riesenerfolg. Schon nur in der deutschen Fassung
wurde dieser unchristlich-christliche Erziehungsratgeber 1904-1929
achtzehn mal verlegt und erschien 1959 nochmals in einer überarbeiteten
Ausgabe. Auch im skandinavischen, niederländischen, spanischen und
englischen Sprachraum galt Foerster bis in den 1930rn, wenn nicht sogar
bis in den 1950rn als einer der massgebenden Moralpädagogen. Populär
war und blieb er lange gleichermassen bei Katholiken, Protestanten und
‚Heiden', wie auch bei Liberalen, Konservativen und Sozialisten. Auch
wenn er später viel behutsamer argumentierte, erklärt sich der Erfolg,
spezifisch der ‚Jugendlehre' u.a. damit, dass Foerster in diesem
Ratgeber gewisse Positionen der Reformpädagogik, wie auch der
derzeitigen Frauen- und Lebensreformbewegung, etwa nach Koedukation und
‚natürlicher Erziehung' zu integrieren suchte, und sich
verständnissvoll für die Anliegen der SozialistInnen zeigte. Innovativ
war Foersters Ratgeber „ für Eltern, Lehrer und Geistliche “ nicht
zuletzt auch wegen der Mühe, die er sich gegeben hat, Beispiele aus dem
(bürgerlichen) Alltag herbeizuziehen. Im Vergleich zu den auch damals
noch üblichen Hand- und Schulbücher für die moralische Unterweisung der
Jugend – die sich seit dem späten 18. Jahrhundert methodisch und
inhaltlich kaum verändert hatten (Ebd., S. 28, dazu auch Visser, 2004)
– war dies eine Leistung, aufgrund deren die ‚Jugendlehre' bis auf den
heutigen Tag als ein Modell für moderne Erziehungsratgeber gelten kann.
Verinnerlichung
In der besten Tradition
Rousseaus fängt Foerster sein Buch mit einer Klage über die
Gegenwartskultur an, die er als „ in erster Linie technisch“, „rein
weltlich“ und „zu sehr auf das Äusserliche gerichtet “ betrachtet.
Diese ‚gefährdete' und (zugleich!) ‚unmögliche' Kultur stellt den
Neukatholiken einem idealisierten Mittelalter gegenüber, in dem das
Leben angeblich ganz und gar auf das „Erhabene“, „Wesentliche“,
Wertvolle“ und „Innere“ ausgerichtet gewesen sei, das Gute noch gut,
das Böse schlicht und einfach böse gewesen wäre (Foerster 1904, S.
1-2). Weil es aber weder möglich noch wünschenswert sei, das Rad der
Zeit zurückzudrehen gälte es, so Foerster, der modernen Kultur eine
neues, ‚vertieftes' geistiges Fundament zu unterbreiten. Diese
neue-alte Kultur der ‚Verinnerlichung' sollte, nebst über die
verschiedenen Reformbewegungen (S. 3ff) (2) v.a. über den
Schulunterricht, sowie über eine richtige Moralerziehung seitens Eltern
und Geistliche im Volke verbreitet werden. (ebd., S. 5-10)
Gut und Böse
Von dem Ansatz her glaubt Foerster mit seiner Moralpädagogik primär bei der Pädagogik seiner Zeit anzuschliessen. Anstatt Moral altmodisch, wie in der üblicherweise als ‚bösartig' stilisierten ‚alten' Schule ‚reinzupauken', gilt es, das Kind in der neuen Schule grundsätzlich für moralische Überlegungen zu interessieren. Indem der Moralerzieher beim Interessenkreise des Kindes anknüpft, könne, so Foerster, die ‚moralische Energie' im Kinde angesprochen werden, womit es sich sozusagen aus eigener Bewegung zu einem tiefen Wissen und Wollen des moralisch Guten führen würde (ebd., S. 11f.). Die Vorstellung, welche auch aus den vielen Beispiele spricht, ist, dass ‚richtige' Moralerziehung verstanden werden kann als die ‚sanfte' Lenkung kindlicher Impulse auf die Verinnerlichung eines Kataloges expliziter Tugenden hin. Anstatt bloss Belehrung gilt es dabei, Kinder stufenweise das ‚Richtige' an Leib und Seele erfahren zu lassen, was Foerster die ‚induktive' Methode nennt (ebd. S. 14, 28ff).
Philosophisch und weltanschaulich ein Idealist, zeigt Foerster sich dabei – und auch das macht wahrscheinlich einen Grossteil seines Erfolges aus –ein Realist: Kinder sind manchmal auch schlecht, böse und sündig, und somit gar nicht interessiert an moralischen Unterweisungen. Im Kerne aber ist und bleibt die optimistische Annahme die, dass Kinder, mit der Hilfe der ihnen innewohnenden Kräfte, zu moralisch handelnden Individuen und gemeinschaftlich orientierten sozialen Wesen heranwachsen können (S. 31-33) – freilich aber nur unter ‚guter', d.h. ‚einfühlsamer' aber auch sittenstrenger geistiger Führung. (3)
Führen und Wachsen
Es ist eben diese Antinomie zwischen ‚führen' oder ‚wachsen lassen', die den Text Foersters so reichlich paradox und beiweilen höchst irritierend macht. So stark sein Bezug auf die (angeblich ‚freiheitliche') Reformpädagogik auf semantischer Ebene auch sein mag, seiner Vorstellung von Moralerziehung als „Charakterbildung“ durch „Willensbildung“ haftet etwas zwingendes, wenn nicht sogar etwas autoritäres an. Nun, normative Pädagogiken wie diese waren bis vor sehr kurzen auch in der ‚wissenschaftlichen' Pädagogik sehr verbreitet und grassieren im Ratgeberbereich ja auch heutzutage noch. Das erklärt aber keineswegs, warum gerade Foersters ‚Balance-akt' zwischen modernem Individualismus und dogmatischem Katholizismus so viel Anklang gefunden hat.
Kennzeichnend für die Foerstersche Herangehensweise ist, dass er auf
der Grundlage einer Mischung aus (wenig) Wissenschaft (4) , (viel) ‚common sense' und Anspielungen
auf Religion und gute Sitten zugängliche und zur damaligen Zeit ganz
akzeptable, konkrete Erziehungsvorschläge gibt, die für alle (!) Kinder
zutreffend sein sollten. Interessant ist dabei zu beobachten, auf
welchen verschiedenen Ebenen ‚Moralerziehung' nach Foerster vonstatten
gehen kann bzw. soll. Zuerst gibt es da Foerster selber, die
unantastbare Autorität in Sachen Pädagogik und Moral, der Eltern ganz
einfach erzählt, wie und warum ErzieherInnen (im allgemeinen) Kinder
(methodisch) zu welchen Ziele erziehen sollten (I). Dann erzählt uns
Foerster unzählige Beispiele, aus denen hervorgehen soll, wie sowas
(praktisch) funktionieren könnte (II). Auch auf dieser zweiten Ebene
spricht die Autorität Foerster, jetzt aber als Praktiker bzw. in
Gewande einer seiner ProtagonistInnen. In manchen solcher Beispiele
kennt die Foerstersche Moralerziehung noch eine dritte Ebene – indem er
es Eltern nahe legt, ihre Kinder dazu zu ermutigen, ihre peers zum
Guten anzuregen (III). Vor allem auch wegen des Akzentes auf
Redsamkeit, Toleranz und Vertrauen auf die Urteilskraft der
Kinder/Jugendlichen mutet das alles sehr modern an. Unter einem Firnis
der Fortschrittlichkeit wird zugleich aber auch ein sehr
mittelschichtslastiges, (5) fast ausschliesslich auf
Buben fixiertes (6) und letztendlich auch ziemlich körperfeindliches Menschenbild vertreten (7) , sowie eine Lebenswelt,
die sozusagen ganz und gar ‚durchpädagogisiert' ist. Auch wenn wir
hinnehmen, dass sich hierin starke Züge des ‚Zeitgeistes'
widerspiegeln, sind die Paradoxien der Foersterschen Moralpädagogik
damit keineswegs aus der Welt geschaffen.
Geist und Körper
John Dewey, der als junger
Philosoph die Lehre Hegels in Amerika zu verbreiten versucht hatte,
schwenkte um 1890 auf einen modernen, eher materialistisch (und
monistisch) orientierten Pragmatismus ein. Kurioserweise machte der
junge Foerster biographisch und ideenhistorisch die genau umgekehrte
Bewegung: zuerst Propagandist eines ursprünglich amerikanischen und
äusserst modernen Freidenkervereins, umarmte er als Neukatholik ein
eher altmodischen Art von Idealismus. Neben Körper und Geist
(Bewusstsein), wäre er damit formell dazu gezwungen, auch noch eine
dritte Kategorie des menschlichen Daseins, nämlich die der Seele zu
anerkennen. Trotz sprachlichen Annäherungen an dieses alte platonische
Konzepts (das einer philosophischen Überprüfung nicht einfach standhalten
kann...), treten Geist, Bewusstsein und Seele und sogar Charakter und
Willen bei Foerster durcheinander und quasi als Synonyme auf. Trotz
aller seiner Bemühungen, die Moralerziehung ‚konkret' zu machen, sie an
unmittelbare Gegenstände und Ereignisse zu knüpfen, bleibt er behaftet
in einem sehr dualistischen Schema, in der dieser‚Geist' ganz klar
vordergründig ist. Wie oft er auch quasi-biologische Argumente
hervorhebt, Moralerziehung à la Foerster ist die gezielte Einwirkung
auf eine seelisch-geistige Ebene, zum Zwecke der Beherrschung alles
Körperlichen sowie der Regulierung aller Handlungen nach dem Massstab
eines eher starren Menschen- und Gesellschaftsbildes.
Füllen
Nicht nur die Inhalte und
Ziele dieser Art Moralerziehung, sondern vor allem deren Objekte sind
im keinen Fall objektiv zu bestimmen. Die Wahl einer festen Moral ist
Foerster wohl nicht übel zu nehmen, liegt solches doch auch für uns in
der Praxis –bewusst oder unbewusst- sehr nahe. Seine einseitige
Fixierung aber, auf das höchst abstrakte ‚Geistige' im Menschen, greift
zu kurz um das konkrete Leben aufwachsender Jugendlicher und deren
moralische Gefühle und Überlegungen zu verstehen oder gar darauf
Einfluss zu nehmen. Dafür ist dieses ‚seelisch-geistige' unzureichend
definiert (bzw. definierbar), und für die Praxis der Erziehung schlicht
unzugänglich. Foersters expliziter Bezug auf Dewey (S. 27) muss die
Richtigkeit seiner Vorstellung einer ‚induktiven' Moralerziehung, die
vom Konkreten ausgeht, unterstreichen, tut dies aber im Endeffekt
gerade nicht. Denn die Foerstersche „Charakterbildung“ vom Kinde aus
unterstellt, dass der Erzieher bzw. die Erzieherin die ‚Seele' eines
jeden Kindes zu jedem Zeitpunkt „schauen“ kann, und ausserdem nach
Wunsch mit der ‚richtigen' Vorstellungen „füllen“ kann. Solch einer
idealistischen Herangehensweise haftet etwas totalitäres an, indem sie
der/dem ‚gute(n)' ErzieherIn eine Art Allmacht zu verleihen scheint.
Paradoxerweise werden sie gleichzeitig auch in Ohnmacht versetzt: wenn
immer etwas schief geht in der (Moral)Erziehung, kann das nur Schuld
der ErzieherInnen sein – der/die ja nicht ‚richtig' geschaut haben bzw.
nicht ‚gut' genug gewesen sind...
So einfach kann das natürlich alles nicht sein. Es braucht aber nur fünf Minuten Schnüffeln im Stauffacher (2. Stock, links, bei den Erziehunsratgebern) um herauszufinden, dass Friedrich Wilhelm Foerster unter verschiedenen Namen und in verschiedenster Couleur immer noch unter uns weilt - und zwar als Urvater des modernen Ratgebergenres.
Alderik Visser
Bern, Mai 2004
Kommentar zum Artikel Alderiks:
Saturday, 22 May 2004, 8:49:33 am
So einfach kann das natürlich alles nicht sein. Es braucht aber nur fünf Minuten Schnüffeln im Stauffacher (2. Stock, links, bei den Erziehunsratgebern) um herauszufinden, dass Friedrich Wilhelm Foerster unter verschiedenen Namen und in verschiedenster Couleur immer noch unter uns weilt - und zwar als Urvater des modernen Ratgebergenres.
Alderik Visser
Bern, Mai 2004
Kommentar zum Artikel Alderiks:
Saturday, 22 May 2004, 8:49:33 am
Ergänzung aus einer
Genderperspektive
Bereits der
Titel hält nicht , was er verspricht: "Jugendlehre" ist schwergewichtig
männlich konnotiert. Dass Foerster die traditionell- bürgerliche
Rollenteilung vertritt, gehört sicher zur Zeitbedingtheit, bleibt aber
erstaunlich, da er im Zusammenhang mit andern sozialen Anliegen
durchaus eine offen kritische Haltung eingenommen hat; warum also nicht
in der Gleichberechtigungsdebatte (Männer , die solche Anliegen
vertraten, gab es auch schon damals, siehe Condorcet, Gobat etc.)
Moralischen Geboten als Apologie der bestehenden patriarchalen Ordnung müssen sich offenbar nur Knaben freiwillig gehorsam unterziehen; traut man dies den Mädchen nicht zu (Möbius: Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes, 1903) oder geht es darum, diese gezielt auszuschliessen (Bosshard- Pfluger)? Wie dem auch sei, Mädchen werden entweder in Fussnoten erwähnt (Bildung schadet vor allem Mädchen, denn „sie verjagt alle Liebe aus der Häuslichkeit“ 7/Fussnote) oder in die Nähe der Dienstboten gerückt , wenn es in der Knabenerziehung darum geht, die Wertschätzung physischer Dienstbotenarbeit und „häuslicher Frauenarbeit“ zu begründen, welcher es in der „Männerwelt“ bedarf (33), denn für das andere Geschlecht gilt: „ ... in der weiblichen Erziehung muss (...) darauf aufmerksam gemacht werden, wie viel geistige und sittliche Fähigkeiten in der Handhabung des einfachsten häuslichen Dienstes betätigt und geübt werden können“(34).
Katharina Kellerhals
Saturday, 22 May 2004, 9:01:02 am
Moralischen Geboten als Apologie der bestehenden patriarchalen Ordnung müssen sich offenbar nur Knaben freiwillig gehorsam unterziehen; traut man dies den Mädchen nicht zu (Möbius: Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes, 1903) oder geht es darum, diese gezielt auszuschliessen (Bosshard- Pfluger)? Wie dem auch sei, Mädchen werden entweder in Fussnoten erwähnt (Bildung schadet vor allem Mädchen, denn „sie verjagt alle Liebe aus der Häuslichkeit“ 7/Fussnote) oder in die Nähe der Dienstboten gerückt , wenn es in der Knabenerziehung darum geht, die Wertschätzung physischer Dienstbotenarbeit und „häuslicher Frauenarbeit“ zu begründen, welcher es in der „Männerwelt“ bedarf (33), denn für das andere Geschlecht gilt: „ ... in der weiblichen Erziehung muss (...) darauf aufmerksam gemacht werden, wie viel geistige und sittliche Fähigkeiten in der Handhabung des einfachsten häuslichen Dienstes betätigt und geübt werden können“(34).
Katharina Kellerhals
Saturday, 22 May 2004, 9:01:02 am
Der Freidenkerverein, der Foerster 1892-1904 präsidierte, war explizit auch ein feministischer Verband - mit gleichberechtigte Mitgliederinnen & offen für die Anliegen (links)bürgerlicher Frauen. Diese aber, Vertreterinnen der sog. erste feministische Welle argumentierten z.Zt. nicht wesentlich anders als der Neukatholiken Foerster: es gibt Frauen und Männer mit unterschiedliche Qualitäten, Möglichkeiten und Funktionen, solche welche einander in der Ehe ergänzen (vgl. u.a. Ellen Key und MMontessori) Diese Art von feministische Strategie, der nicht primär auf Gleichheit, sondern auf Differenz setzt, wird auch heutzutage noch vertreten, nicht nur in esoterischen Kreisen, sondern auch in gewisse Zweige der Genderforschung (vgl. Kohlberg versus Gilligan)
Nun, ich habe ja auch selber gesagt, 'Jugendlehre' sei ein ziemlich bubenlastig Buchwerk. Dennoch glaube ich, dass es ein Anachronismus ist, Foerster dies allzu sehr übel zu nehmen. Mit seine Rollenzuschreibung lag er erstens relativ gut im Trend mit den Frauenrechtlerinnen seiner Zeit, inklusive die Attribuierungen 'wahrhafter' Weiblichkeit. Mit dem Gedanken, Buben sogar ein wenig für die Dienstbotenarbeit zu interessieren, sie also bei der Hausarbeit mithelfen zu lassen, wurde Foerster zweitens sogar als äusserst progressiv gesehen.
Was Condorcet und Gobat oder auch J.S. Mill zu Derzeit schon mal theoretisiert haben mögen, ich vermute, dass auch diese liberale Bürgermänner selber eher selten häusliche Arbeit geleistet haben. Das tun sie & solche Männer ja schliesslich auch noch nicht allzu lange, und immer noch relativ wenig. Aus diesem Grunde betrachte ich es, nochmals, als historisch eher heikel, Foerster allzu sehr nach den heutigen Masstäben zu messen.
Alderik
Literatur Enders, Susanne: Moralunterricht und Lebenskunde. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003. Visser, Alderik: Die Evolution der Gesinnung. Ethische Gesellschaften in Europa und den U.S.A. zwischen Wissenschaft und Religion (etc.). In: Rülcker, Tobias, Jürgen Oelkers (Hrsg.) Politische Reformpädagogik. Bern (etc.): Peter Lang 1998, S. 223 - 247. Visser, Alderik: Aufklärung und Erlösung. Friedrich Wyss und die weltliche Moralerziehung 1874 - 1918. In: Horster, Detlev, Jürgen Oelkers (Hrsg.): Pädagogik und Ethik. Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften. (2004) |
Noten
1)
Ursprünglich
eine Bewegung für säkularisierende Juden in den USA, entstanden um 1900
etliche solche ‚ethischen Bewegungen' in Deutschland, Östereich und die
Schweiz, sowie in England, Italien und Japan. In Deutschland verband
die Gesellschaft 1892 – 1914 eine Gruppe namhafte PhilosophInnen,
PädagogInnen und SozialreformerInnen (Enders 2003; Visser 1998)
2) Nebst den derzeitigen pädagogischen Reformbewegung meint Foerster hier gewisse Teile der Frauen- und Jugendbewegung, sowie (v.a.) der sog. Lebensreformbewegung (Alkoholabstinz, sexuelle Enthaltsamkeit, Vegetarismus, etc.) 3) Der Optimismus der RefompädagogInnen bzgl. dem intrinsisch Guten der kindliche Seele ist in der „Jugendlehre“ zwar noch vorhanden, zugleich dient der spätere Foerster als „Bussprediger“ der Erbsünde sich an gewissen Stellen schon an. Mit den Jahren wurde seine Forderung nach Gehorsam als Grundlage der Selbsdisziplin und der Autonomie des Kindes immer stärker. 4) Wobei u.a. anzumerken ist, dass Foersters Bezüge auf, etwa, Mill, James und Dewey zwar seine Belesenheit, Fortschrittlichkeit und internationale Ausrichtung anzudeuten scheinen, im Foersterschen Kontext aber als eher gesucht und (wie bei Mill) geradezu falsch daherkommen (S. 25, 27ff). Auch die Verweise auf Pestalozzi haben mehr ‚Werbecharakter“ als wirklich Inhalt. 5) Etwa, wenn es um „ [der] richtiger Haltung in der Dienstbotenfrage []“ geht (S. 34) 6) Was sich v.a. ausduckt in den ständigen Anspielungen auf ‚männliche' Tugenden wie etwa Mut, Selbstbeherrschung, Ritterlichkeit, Wahrhaftigkeit, etc. Übrigens geht Foerster schon von wesentlich männliche bzw. weibliche Tugenden und Charaktermerkmale aus, plädiert aber auch dafür, welche solche in jedem Menschen zu entwickeln. 7) Der sich ausdrückt in Sätzen wie: „[] der Kampf mit dem tierischen Selbst []“ (S. 14) „[] Regulierung der rein animalischen Instinkte []“ (S. 17) ,„ Instinkte [die] weit tiefer mit unsere ganzen Existenz zusammenhängen, als das blosse physische Bedürfnis.“ (S. 19), „[] Triumph des Geistes über die Elemente []“ (S. 24) |
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